Supergrundrecht Gesundheit
10.07.2020Der Senat der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) hat sich kürzlich zum Betrieb Wintersemester geäußert. In einer Pressemitteilung heißt es: “Der Senat der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) hat sich einhellig zu einer absoluten Priorität des Gesundheitsschutzes bei der Gestaltung des kommenden Wintersemesters bekannt. Es sei völlig unstreitig, daß Hochschulen jetzt und in Zukunft Präsenzeinrichtungen seien und sein wollten. Die Forderung nach einer sofortigen vollständigen Rückkehr in den Präsenzbetrieb aber sei unter anhaltenden Corona-Bedingungen verfehlt.”
Es ist ein unter juristischen Laien weit verbreiteter Irrtum, daß es eine Hierarchie von Grundrechten in unserer Verfassung gäbe und an oberster Stelle das “Recht auf Gesundheit” stünde. Das ist Unsinn. Das einzusehen, erfordert keinen Abschluß in Jura. Wäre das so, müßte der Individualverkehr sofort verboten werden. Die Wehrpflicht, die für Männer! im Grundgesetz steht und zur Zeit nur ausgesetzt ist, müsste abgeschafft werden. Ein finaler Rettungsschuss polizeilichen Einsatzkräften nicht erlaubt werden; etc. pp. Nein, Grundrechte stehen nebeneinander und müssen in einem demokratischen Rechtstaat u.U.gegeneinander abgewogen werden. Das einzige “Supergrundrecht”, das über allen steht, steht in Artikel 1: “Die Würde des Menschen ist unantastbar” und ist eine Reaktion auf den Terror und die unfassbaren Greuel der Nazizeit.
Von politischer Seite wird dieser Irrtum natürlich bewußt instrumentalisiert, erleichtert er doch die zur Zeit angewandten Corona-Maßnahmen (erinnert sich noch jemand an das Supergrundrecht “Sicherheit” eines ehemaligen CSU-Innenministers?). Die Verlautbarung des HRK ist also insofern erstaunlich, als man von einem hohen Gremium, das die deutsche Wissen(schaft)slandschaft vertritt, Grundkenntnisse der Verfassung erwarten dürfte. Der Münsteraner Verfassungsrechtler Oliver Lepsius kritisiert diese Haltung in der FAZ mit deutlichen Worten: “Absolut geschützt sei in der Verfassung nur die Menschenwürde. Alle anderen Rechtsgüter, auch Leben und Gesundheit, seien mit anderen Rechtsgütern abzuwägen. „Die HRK nimmt hier eine Gewichtung von Schutzgütern vor, was dem Freiheitsschutz des Grundgesetzes – das muss ich leider so deutlich aussprechen – widerspricht“, so Lepsius. Für die Hochschulen schreibe die HRK das Grundgesetz im Sinne einer Schutzgüterhierarchie um. Lepsius erinnert die Hochschulrektoren daher an ihre Verpflichtung gegenüber der Wissenschaftsfreiheit und dem Recht auf Bildung. Das seien die Grundrechte, deren Gewährleistung die HRK im Blick haben müsse. Wenn sie sich nun zum Sachwalter der Gesundheit mache, verkenne sie die Verfassungsordnung. Die Hochschulen als Personalkörperschaften erfüllten ihren Verfassungsauftrag nicht, wenn sie Wissenschaft und Bildung unter einen Gesundheitsvorbehalt stellten.”
Dem ist nichts hinzuzufügen, außer diese Verweise 1 und 2 auf weitere Hintergrundlektüre.