Innovationsfähigkeit
23.11.2020Die Fähigkeit zu Innovationen ist für eine Wissensgesellschaft essentiell. In einigen, spezialisierten Bereichen besitzen wir diese Fähigkeit noch. Die (hoffentlich) erfolgreiche Entwicklung eines Impfstoffs gegen Sars-Cov2 durch BioNTech (u.a.) in Rekordzeit auf Basis einer neuen Technologie (mRNA) ist ein schönes Beispiel dafür. Wie man solche Innovationen fördern kann, sollte ein Anliegen der Politik sein. Für Professoren in Hessen ist “die Übernahme einer Geschäftsführungstätigkeit ist i. d. R. nicht genehmigungsfähig.”. M.a.W. Herr Uğur Şahin kann zwar in Rheinland-Pfalz Professor für Onkologie der Universität Mainz sein und gleichzeitig CEO von BioNTech, aber in Hessen wäre dies nicht möglich. Innovationsfreundlich sieht anders aus. Hessen ist zwar bei den Startups unter den ersten Fünf, aber hier ist offensichtlich noch Luft nach oben. Alles eine Frage des Anspruchs und der Ambitionen.
Ambitionen sind uns Europäern leider in vieler Hinsicht abhanden gekommen. Anders ist es nicht zu erklären, dass das Corona-Management der europäischen Regierungen von der Öffentlichkeit weitgehend als alternativlos hingenommen wird. Wenn man ohne eurozentrischen Blick den geistigen Horizont etwas weiter faßt, muß man neidlos anerkennen, dass in Asien die Corona-Krise deutlich besser gemanagt wird. Wie der Cicero in einem aktuellen Beitrag schreibt: “Starben in Taiwan gerade mal sieben Menschen an Corona. In Vietnam sind es 35. Seit 200 Tagen sind keine neuen lokalen Ansteckungen in Taiwan entdeckt worden. Südkorea schafft es die täglichen Neuinfektionen bei ca. 100 Fällen zu halten. In beiden Ländern, ähnlich wie in Japan, gab es gar keinen Lockdown.” Findet deshalb eine Diskussion statt? Auch die FAZ berichtet über die Erfolge der “Asiaten” (“Was die Asiaten besser machen”). Laden wir also Epidemiologen und Politiker aus asiatischen Ländern ein, um von ihnen lernen zu können? Fehlanzeige. Wenn überhaupt, wird der Vergleich mit dem Hinweis Diktatur! abgetan - richtig im Falle von China - falsch für Korea, Taiwan, Neuseeland usw. - oder es wird auf die kulturelle Eigenschaften der “Asiaten” verwiesen, die angeblich kollektivistischer und konformer als wie seien - eine erstaunlich rassistisch konnotierte oder zumindest vom hohen Roß der eurozentrischen Überheblichkeit geäußerte Meinung. Dabei bleiben wir durch diese Ignoranz beständig unter unseren Möglichkeiten, was enorme wirtschaftliche Schäden und zusätzliche, vermeidbare Tote verursacht. Ein Beispiel: Bereits im Mai hatte ich über mögliche Massentests in Schulen und Hochschulen geschrieben. Jetzt - nach vielen Monaten in der Pandemie - finden dazu erste Tests statt: “Die Uniklinik Köln probiert gemeinsam mit den Unikliniken in Düsseldorf, Bamberg, Heidelberg und München Corona-Pooltests an Schulen und Kitas aus. “ berichtet der WDR. Das ist alles viel zu langsam - bis die Erkenntnisse aus solchen Versuchen flächendeckend implementiert sind (wenn überhaupt) , wird der Winter vorbei sein, und eine kalte Herdenimmunisierung in den Schulen in Kauf genommen worden sein. Es gibt auch in den meisten Pflegeeinrichtungen keine Schnelltests für Besucher und keine regelmäßigen Tests für Pflegekräfte. Eine einfache Maßnahme, Hochrisikogruppen zu schützen. Boris Palmer hat das in Tübingen bereits im April eingeführt, aber anstatt diese Maßnahmen zu diskutieren, hat man ihn lieber wegen politisch nicht korrekter Äußerungen als Unmensch verunglimpft.
Das sind nur ein paar Beispiele für unser Unvermögen, innovativ auf diese Pandemie zu reagieren. Woran liegt es, dass wir so schlecht darin sind? M.E. reden wir zwar immer von Interdisziplinarität, aber wir sind sehr schlecht darin geworden, echte Interdisziplinarität zu organisieren. Und bei kreativen Lösungen ist eben oft die Zusammenarbeit unterschiedlicher Bereiche gefordert. Wir müssen also wieder lernen, agiler zu werden. Und dazu gehört z. B. auch, Forschern und anderen handelnden Personen, Vertrauen entgegenzubringen anstatt diese in ein immer enger werdendes Korsett von Bürokratie zu pressen, die jeglicher Kreativität die Luft zum Atmen nimmt. Für uns Informatiker heißt das z. B. aber auch, den Datenschutz nicht als Dogma zu verstehen und blind zu verteidigen, sondern abzuwägen, welche Grundrechtseinschränkungen schlimmer sind. Diese Abwägung kann nur im Rahmen einer gesellschaftlichen Debatte erfolgen. Aber dafür müsste diese endlich anfangen.