Nervennahrung

Agilität

12.03.2021

Agilität kann man unserer Exekutive wahrlich nicht vorwerfen. Zur Erinnerung: Vor 20 Jahren wurde das Manifest für Agile Softwareentwicklung veröffentlicht:

Wir erschließen bessere Wege, Software zu entwickeln, indem wir es selbst tun und anderen dabei helfen. Durch diese Tätigkeit haben wir diese Werte zu schätzen gelernt:

  • Individuen und Interaktionen mehr als Prozesse und Werkzeuge
  • Funktionierende Software mehr als umfassende Dokumentation
  • Zusammenarbeit mit dem Kunden mehr als Vertragsverhandlung
  • Reagieren auf Veränderung mehr als das Befolgen eines Plans

Das heißt, obwohl wir die Werte auf der rechten Seite wichtig finden, schätzen wir die Werte auf der linken Seite höher ein.

Übertragen auf die gegenwärtige Corona-Situation in Deutschland hieße dies:

  • Menschen und Bedürfnisse mehr als Verwaltungsvorgänge und Erlasse
  • Funktionierenden Schutz und Impfresultate mehr als umfassende Dokumentation
  • Zusammenarbeit mit dem Bürger mehr als Verbote und Vorschriften
  • Reagieren auf Veränderung mehr als das Befolgen der Corona-Impfverordnung (Priorisierung)

Die Krise der Softwareentwicklung, die zur Reaktion des Agilen Manifests geführt hat, war wesentlich durch die (falsche) Annahme bestimmt, daß man extrem komplexe Vorgänge hierarchisch Top-Down gemäß militärischem oder tayloristischem Vorbild vollständig kontrollieren kann - das Wasserfallmodell ist die extremste Ausprägung dieser Denkschule. Was mit einem Softwareprojekt nicht funktioniert, funktioniert mit einer Gesellschaft erst recht nicht. Wesentlich für das Gelingen von Agilen Modellen ist Vertrauen in Menschen und in dezentrale Lösungskompetenz. Beides ist bei unserer Exekutive (in der Pandemie) nicht vorhanden, im Gegenteil. Aus Sprache und Handlung der Bundesregierung spricht ein abgrundtiefes Mißtrauen in das Volk - uns wird nichts zugetraut. Selbsttests, Eigeninitiative, Gefahren- und Risikoeinschätzung durch den Bürger selbst? Alles Fehlanzeige. Aktueller Gipfel dieser - von Anfang an die Maßnahmen der Exekutive bestimmenden - Denkschule ist das Mißtrauen, das jetzt auch die (Haus-) Ärtze trifft, denen man die Impfung nicht übergeben möchte, aus Angst, es werde von der Priorisierung abgewichen. Doch wer alles kleinteilig mikromanagen möchte, wird versagen. Bei einem Softwareprojekt oder in einer Pandemie.

Don Carlos würde also heute Frau Merkel (anstelle König Philipp II. von Spanien) vermutlich zurufen: “Geben Sie Gedankenfreiheit, Sire…” und “lassen Sie die Leute die notwendigen Dinge einfach machen”. Dann geht es auch voran.