Nervennahrung

Evidenz

03.05.2021

Wir eröffnen die Woche mit Positivem. Die Inzidenzen sinken, und zwar stetig seit mehr als 8 Tagen. Das sind gute Nachrichten. Dazu zitiert der Spiegel den Präsidenten der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi), Gernot Marx, mit den Worten: “Das hängt dann unmittelbar mit den Maßnahmen der Bundesnotbremse zusammen [..] Die Bundesnotbremse hat aus unserer Sicht also viele Tausend Menschenleben retten können”, und die Rheinische Post berichtet: “Notbremse rettet laut Intensivmedizinern Tausende Leben”. Das wiederum darf man getrost als evidenzfreie Propaganda bezeichnen, denn aufgrund von Inkubationszeiten, Meldeverzug und anderen Faktoren kann ein Effekt von Maßnahmen auf das Infektionsgeschehen sich frühestens nach 10-14 Tagen zeigen. Ein Kausalzusammenhang kann also frühestens nach 10-14 Tagen belegt werden. Die Inzidenzen sanken aber unmittelbar nach Einführung der Notbremse. Überhaupt ist es extrem schwierig, den Einfluß von Maßnahmen auf das Infektionsgeschehen wissenschaftlich zu ermitteln, da man mit einer Gesellschaft keine kontrollierten Laborversuche anstellen kann. Deshalb bedarf es zur Einschätzung der Wirkung von Interventionsmaßnahmen der Dienste von Experten wie Epedemiologen und (Medizin-) Statistikern. Virologen sind übrigens keine Experten in diesem Metier und Ärtzefunktionäre wie Herr Marx offensichtlich auch nicht. Das müssen sie auch nicht sein, aber man sollte dann mit öffentlichen Kommentaren außerhalb des eigenen Fachgebiets zurückhaltend sein, wenn man nicht den Kontext evidenzbasierter Diskussion verlassen möchte. (Aber vielleicht tue ich Herrn Marx auch Unrecht und er wurde lediglich falsch zitiert - der Spiegel ist für Framing gerade auch in der Coronaberichterstattung berüchtigt.)